Ausgelöst durch Social Distancing und Home Office erlebten Unternehmen 2020 einen Exodus der Käufer ins Internet. Während der Pandemie war Einkaufen in Onlineshops und über mobile Apps für Millionen Kunden nicht nur der sicherste Weg, sondern auch der komfortabelste. Innerhalb von Wochen sprang die Akzeptanz für digitales Einkaufen auf Werte, die Marktforscher erst für das Jahr 2030 erwartet hatten.
Auch wenn Kunden bald wieder mehr vor Ort einkaufen: Die Ansprüche von Konsumenten und Geschäftskunden haben sich unumkehrbar verschoben.
Eine weltweite Umfrage im Auftrag des US-Softwareherstellers Adobe legt offen, warum manche Unternehmen in der Krise schneller auf die Veränderungen des Einkaufsverhaltens reagieren konnten.
Customer Experience als Überlebensfaktor
Für ihre Analyse befragten die Marktforscher von Econsultancy weltweit mehr als 13.000 Marketingfachleute und Entscheider aus Agenturen und Anbieterunternehmen vom Mittelstand bis zu multinationalen Großkonzernen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Marken, die besonders von der Krise profitierten, boten ihren Kunden „hochwertige Funktionen für Kundenerlebnisse“ an und das vor allem digital.
Eine Privat- und Geschäftsbank in Großbritannien etwa stellte binnen einer Woche wichtige Formulare ins Netz und machte damit einen Besuch in der Zweigstelle überflüssig. Im Lockdown nahmen die Kunden das Angebot dankbar an und wickelten über 80.000 Transaktionen virtuell statt vor Ort ab. Die Zahl derer, die zum ersten Mal Onlinebanking nutzten und auf den Geschmack kamen, stieg dabei sprunghaft an. Während andere Bankhäuser Nutzer enttäuschten, stellte diese Bank noch im selben Jahr ihr Angebot für Geschäftskunden auf digitale Selbstbedienung um.
Unternehmen wie diese verzeichnen nach Ansicht der Experten nicht nur ein langfristig höheres Wachstum. Sie kamen insgesamt besser durch die Monate des Lockdowns und ließen die Konkurrenz hinter sich, weil sie eine durchgehend digitale Customer Experience boten und sich schnell und effizient auf das veränderte Kundenverhalten einstellten.
Was ist eine Customer Experience?
Die Customer Experience umfasst alle Eindrücke, die Kunden beim Kontakt mit einer Marke sammeln: beim Besuch der Website, beim Benutzen des Produkts, beim Kontakt mit dem Kundendienst und bei einem Folgekauf.
Um in der heutigen Erlebnisökonomie erfolgreich zu sein, müssen Marken ganzheitliche und vor allem auch digitale Kundenerlebnisse schaffen: von der Produktrecherche im Netz über den Kauf bis zum Gebrauch des Produkts. Doch Kunden können sich bei ihrer Informationsrecherche im Internet so frei bewegen wie nie. Für Unternehmen wird es dadurch immer aufwändiger, den Weg von Interessenten entlang der verschiedenen Kanäle nachzuvollziehen und ihnen an allen Kontaktpunkten eine einheitliche Erfahrung zu bieten. Die Adobe-Studie zeigt: Für viele Anbieter ist eine konsistente digitale Customer Experience noch Zukunftsmusik.
Kunden änderten Gewohnheiten von einem Tag auf den anderen
Insbesondere diese Unternehmen wurden von der Corona-Krise kalt erwischt. Die Pandemie wurde zum Testlabor für das Einkaufen in der Zukunft und presste den digitalen Wandel eines Jahrzehnts in ein einziges Jahr:
Die Disruption kündigte sich durch ungewöhnliche Kundenfluktuationen mit Anbruch des Lockdowns an: Fast die Hälfte der Konsumgüteranbieter beispielsweise registrierte einen „explosionsartigen“ Zulauf von Neukunden. Das korrespondierte andernorts mit einem spürbaren Verlust an Markentreue. Der Großteil der Neuzugänge kam dabei über digitale Kanäle wie Website, Onlineshop, Smartphone-App oder Social Media herein.
Auch ihre Bestandskunden konnten viele Unternehmen nicht mehr wiederkennen: Ob B2C- oder B2B-Branchen, Konsumgüter- oder Fertigungsunternehmen – 56 Prozent der Kunden offenbarten ungewöhnliche Verhaltensweisen und nutzten neue Pfade für Produktrecherche und Kauf. Die Anbieter sahen sich mit einer komplexeren Customer Journey konfrontiert.
Regeln sollten individuell je Produktklasse (z.B. E-Bikes) oder Kanal (z.B. Online Shop) festgelegt werden können. So werden auch kanalspezifische Kriterien berücksichtigt und die durchgängige Qualität der Produktdaten sichergestellt.
Zu wenig Komfort und Personalisierung
Gefragt nach dem entscheidenden Qualitätskriterium für eine attraktive Customer Experience, nannten 64 Prozent der Führungskräfte: Komfort. Offenbar wechselten Kunden zu Anbietern, die ihnen die virtuelle Produktrecherche, den Onlinekauf und das Erledigen von Aufgaben möglichst bequem machten. Abseits von klassischen Offline-Kanälen wurde die digitale Performance von Unternehmen zum Wachstumstreiber und Überlebensfaktor in der Pandemie.
Technisch steht hinter einer komfortablen Nutzererfahrung vor allem die Personalisierung von Inhalten. Nach Auskunft der Marktforscher scheitert immer noch die Mehrheit der Unternehmen daran, Inhalte auf den einzelnen Kunden zuzuschneiden. Ihnen fehlten in der Krise sowohl die technischen Voraussetzungen als auch die Strategien, um schnell und effektiv auf die Bedürfnisse des Kunden zu reagieren.
Beinah zwei Drittel der Umfrageteilnehmer (61 Prozent) räumten ein, auch sie wären als Kunden ihres eigenen Unternehmens frustriert und würden dem Angebot der Konkurrenz den Vorzug geben aufgrund der besseren Nutzererfahrung. Bei Unternehmen, die schon heute eine digitale Customer Experience bieten, liegt der Anteil interner Skeptiker dagegen gerade mal bei einem Viertel.
So kehrten 2020 viele Kunden plötzlich ihren bisherigen Marken den Rücken, weil ihnen das Angebot zu umständlich und rückständig anmutete. Der extrem beschleunigte Wandel des Kaufverhaltens während der Corona-Krise wirkte wie der Überraschungstest in der Lateinstunde: Viele Unternehmen wähnten die eigentliche Prüfung (Disruption) noch in ferner Zukunft. Doch unerwartet hieß es: „Hefte raus, schauen wir mal, wo ihr steht!“